Sehnde
Sonnabend, 27.07.2019 - 20:32 Uhr

"2035 werden die Abendsegler aus Deutschland verschwunden sein"

SEHNDE

"2035 werden die Abendsegler aus Deutschland verschwunden sein": Mit diesen Worten schloss Roland Heuser, Diplombiologe aus Trier seinen Vortrag im Gemeindesaal der Sehnder Kreuzkirche des NABU Sehnde zur Problematik Fledermäuse und Windenergie. Er hatte seine größtenteils aus Fachpublikum bestehende Zuhörerschaft den ganzen Abend mit neuesten Informationen und Entwicklungen aus diesem Spannungsfeld von Naturschutz und Energiewende in seinen Bann gezogen. Gekommen waren neben Interessierten aus Hannover und Sehnde auch die meisten Fledermausregionalbetreuer der Region Hannover.

 

Heuser erläuterte, dass das Unfallrisiko durch Verkehr und Windenergieanlagen (WEA) ganz verschiedene Fledermausarten betrifft. Man könne diese beiden Haupttodesursachen von Fledermäusen in Deutschland nicht gegeneinander aufwiegen oder dadurch relativieren.

 

Hauptsächlich aber arbeitete der erfahrene Gutachter und Fledermauskundler die Gefahren für die Fledermausbestände in Deutschland "durch unerfahrene und schlecht ausgebildete" Gutachter, sowie durch die immer größer werdenden Windenergieanlagen heraus. Von der Bundesregierung selbst in Auftrag gegebene Studien hätten nachgewiesen, dass ungeregelt betriebene und schlecht platzierte WEA für den Tod von etwa 200.000 Fledermäusen jährlich verantwortlich seien.

 

Zusätzlich könne die neue Generation der Windrad-Giganten von 200 Metern Höhe und mehr technisch und physikalisch nicht mehr von Fledermausdetektoren überwacht werden. Er wies diesen Umstand anhand von Forschungsergebnissen und physikalischen Gesetzmäßigkeiten nach. Laut Heuser seien daher die Untersuchungsmethoden, auf den die gerichtlichen Entscheidungen und die Genehmigungsbescheide beruhen, nicht in der Lage, sichere Daten über die Fledermausvorkommen in den Windparks zu generieren. Diese sehr niederschmetternden Forschungsergebnisse würden "hoffentlich in näherer Zukunft auch internationale und nationale Beachtung finden".

 

Heuser forderte, da technische Lösungen mittlerweile die Überwachung der Fledermausvorkommen nicht mehr sicherstellen könnten, nach dem Vorsorgeprinzip des Umweltschutzes zu handeln. Demnach müsste jede WEA in Deutschland mit den maximal, sicheren Abschaltzeiten betrieben werden. Das würde hunderttausenden Tiere das Leben retten, aber nur etwa zwei bis drei Prozent des jährlichen Ertrages kosten, da nur bei eher ertragsarmen Windverhältnissen und in den Nächten abgeschaltet werden müsste. Aber diese Abschaltzeiten würden seitens der Windindustrie vehement bekämpft.

 

Windparkbetreiber und Projektierer würden um jeden Cent beziehungsweise jede Betriebsminute streuten, obwohl sie hohe öffentliche Fördersummen erhalten hätten. Die Folgen dieser Haltung ließen sich schon an vielen Orten in Deutschland beobachten. In den traditionellen Quartieren der Abendsegler, der größten und von WEA am meisten gefährdeten Fledermausart in Deutschland, lasse sich deutlich ein starker Rückgang der Bestände auszählen. Auch die Rauhautfledermaus sei mittlerweile bedroht. Selbst die noch häufigste Fledermausart, die Zwergfledermaus, zeige abnehmende Bestände in Gegenden, in denen viele Windräder stehen. Schreibe man diese Entwicklung in die Zukunft fort, würden die Abendsegler in Deutschland in 2035 verschwunden sein, so Heuser. Es bestehe, insbesondere bei bestehenden Altanlagen, dringender Handlungsbedarf im Sinne der Arterhaltung und des Artenschutzes.

 

Der Biologe ging auch auf den Windpark Lehrte-Sehnde ein, den er aus seiner Zeit in Niedersachsen noch persönlich kennt. Er hatte die extrem vielen Totfunde begleitet und den NABU bei der ehrenamtlichen Suche mit Rat und Tat unterstützt. Besonders die Situation, dass seitens der Naturschutzbehörden hier nichts getan werde, um nachträgliche Abschaltzeiten anzuordnen, hatte er jüngst bei einer Fachtagung in Berlin seinen Kollegen vorgestellt und erntete vielfach entsetztes Kopfschütteln. Aber ein neues Urteil des OVG Lüneburg zu Abschaltzeiten lasse hoffen. Es müsse jetzt dringend etwas getan werden, ansonsten werden ab Juli wieder viele Fledermäuse im Windpark Lehrte-Sehnde sterben, so der Diplombiologe.