Sehnde
Freitag, 09.02.2024 - 14:48 Uhr

Wahrendorff Symposium zu New Work in der Pflege

Traumberuf Pflege: Zurück in die Zukunft

Durch alle Vorträge zog sich eine große Praxisrelevanz mit hohem Wert für das Publikum. Verantwortlich dafür: Cordula Schweiger, Wahrendorff Klinikum (Mitte) und die Referentinnen (von links Judith Hantl-Merget (RoMed Kliniken), Leah Weigand, Sarah Kilz (Fraunhofer IMW) und Claudia Chodzinski.Aufn.: Wahrendorff, Helge Krückeberg

KöTHENWALD

Anfang Februar 2024 brachte das Wahrendorff Symposium "New Work in der Pflege" Wissenschaft und Praxis zusammen, um einen umfassenden Blick auf die aktuellen Herausforderungen in der Pflege zu werfen und gleichzeitig Lösungsansätze für eine zukunftsorientierte Pflegearbeit zu präsentieren.

 

Im Wahrendorff Klinikum arbeiten 46 Prozent der Mitarbeiter in der Pflege. Im Gesamtunternehmen Wahrendorff mit den Bereichen Wohnen und Tagwerk in der Eingliederungshilfe und dem Klinikum sind es in Summe gut 60 Prozent. Anlass genug, die Zukunft dieser Berufsgruppe in einem hochkarätig besetzten Pflege-Symposium zum zukunftsorientierten Thema "New Work in der Pflege" in den Fokus zu setzen und Diskussionen mit Fachexpertinnen anzustoßen. Mehr als 100 Gäste waren der Einladung nach Köthenwald gefolgt und diskutierten wissenschaftlich fundiert und praxisorientiert über das Konzept New Work in der Pflege.

 

Emotional und sehr berührend eröffnete Leah Weigand aus Marburg das Symposium mit ihrem Poetischen Beitrag "‘Ungepflegt‘ – Status Quo in der Pflege?" Sie prangert darin die Bedingungen an, unter denen Pflegende aktuell arbeiten. "Es gibt Wochenenddienste und Schichten an sich, Home-Office und Gleitzeit ist eher unüblich. Wir werden gekniffen, bespuckt und berotzt, ich bin manchmal ganz unmetaphorisch angekotzt … Aber ich habe auch schon 100 Jahre alte Hände gehalten und berührte Legendenhaut. Hab in erleichterte Gesichter und dankbare Augen geschaut. Ich habe die letzten Szenen großer Menschen gesehen und durfte mit den Kleinsten die ersten Schritte gehen …" In ihren Worten geht es ums Menschsein und die Angst, dass uns die Menschlichkeit abhandenkommt.

 

Anregende Vorträge

Renommierte Expertinnen teilten ihr Wissen über die Zukunft der Pflegearbeit, betonten die Bedeutung von Flexibilität, Digitalisierung und Mitarbeiterengagement. Im Mittelpunkt standen die zahlreich existierenden Herausforderungen in der Pflege, insbesondere die Arbeitsbelastung des Pflegepersonals sowie der vorherrschende Fachkräftemangel. Nach aktuellen Vorausberechnungen des Statischen Bundeamtes (Destatis -01/2024)) kommt es zu einem starken Mangel an Pflegekräften. Haupttreiber dieser Entwicklung ist das verstärkte Erreichen des Renteneintrittsalters der Babyboomer-Generation in den nächsten zehn Jahren, wodurch dem Arbeitsmarkt allein aus Altersgründen benötigte Pflegekräfte fehlen werden. Im ungünstigsten Fall könnten so bereits im Jahr 2034 rechnerisch 350.000 Pflegekräfte fehlen. Bis zum Jahr 2049 würde sich diese Lücke sogar auf 690.000 fehlende Pflegekräfte ausweiten. Holger Stürmann, Geschäftsführer von Wahrendorff, brachte die Zahlen zurück in das Jetzt: "Wir planen den Wirtschaftsplan nach der Ressource Pflege und nicht nach der Marktnachfrage. Das ist für einen Betriebswirt sehr gewöhnungsbedürftig." Und ein Pflegefachkraftmangel ist auch volkswirtschaftlich ein Riesen-Problem. "Wir erleben aktuell in der Erwerbstätigkeit ausschließlich Zuwachs über zugewanderte Menschen. Migration muss in New Work mit in die Diskussion kommen."

 

Mehr Selbstverantwortung und Entscheidungsfreiräume in den Pflegeteams

Das Konzept "New Work" beschreibt eine umfassende Transformation von Arbeitserbringung, Arbeitsweisen, Arbeitsorganisation und Unternehmensführung. Den wissenschaftlichen Einstieg machte Sarah Kilz vom Fraunhofer-Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie IMW aus Leipzig. Kilz forscht dort, ist stellvertretende Leiterin der Gruppe Digital Health und brachte Ergebnisse aus dem Working Paper "New Work in der Pflege" mit. Das umfassende Papier untersucht, inwieweit der New-Work-Ansatz im Pflegebereich Anwendung finden kann. Dabei wird der Status quo des Berufsbilds "Pflege" beleuchtet und analysiert, welche Aspekte des New-Work-Konzepts in den Pflegebereich übertragen werden können. Kilz berichtete von Interviews mit Vertretenden aus dem Pflegesektor und brachte eine ganze Bandbreite an Best Practices für den praktischen Einsatz im Pflegealltag mit. Die Beispiele umfassten flexible Arbeitsmodelle, digitale Tools und Robotik zur Entlastung der Pflegenden.

 

Ihre Handlungsempfehlungen gingen in die Etablierung neuer Arbeitswelten, in denen unter anderem die Feedbackkultur mit konstruktivem Feedback Optimierungsprozesse unterstützt und bei einem offenen wie auch respektvollen Umgang miteinander eine gute Vertrauensbasis für die Zusammenarbeit schafft. Wandel fängt bei den Führungskräften an. Aber auch Mitarbeitende sind bei Transformationsprojekten einzubeziehen und zu informieren. Dafür ist umfassendes Know-how von zentraler Bedeutung: Weiterbildung schafft Akzeptanz. Ein regelmäßiger Austausch über die Motivation für die Berufsausübung, über aktuelle Anforderungen und über Maßnahmen zur Optimierung können unterstützen, ein Gleichgewicht zwischen Erwartungen und Realität herzustellen. Durch Analysen der Arbeitsabläufe lassen sich Bedarfe und benötigte Ressourcen ermitteln. Dies kann einen flexibleren Umgang mit den individuellen Bedürfnissen der Mitarbeitenden in der Arbeitszeitgestaltung ermöglichen. Durch automatisierte Vorgänge können beispielsweise Synergien in der Datenerhebung geschaffen und Prozesse optimiert werden. Dabei ist es wichtig, mit allen Betroffenen die Anforderungen an die digitalisierten Verfahren zu erarbeiten.

 

Im Kern geht es um partizipative Entscheidungsprozesse mit mehr Selbstverantwortung und Entscheidungsfreiräume, Schulungen der Führungskräfte und der Mitarbeitenden, um die notwendigen Kompetenzen für eine neue Ausgestaltung der Pflege zu erlernen. "Es ist nicht immer notwendig, alles neu oder anders zu machen", betonte Kilz zum Abschluss und machte deutlich, dass es vielmehr darum geht, maßgeschneiderte und gezielte Maßnahmen zu ergreifen, anstatt universelle Lösungen anzuwenden."

 

Zukunft der Arbeit gestalten und Veränderung leben

In den RoMed Kliniken am Chiemsee in Bayern setzt man seit 5 Jahren konsequent auf Veränderung und New Work. In einem leidenschaftlichen Vortrag zur "Best practice: Erfahrungen zur Implementierung von New Work in der Pflegepraxis", begeisterte Judith Hantl-Merget, Pflegedirektorin RoMed Kliniken in Rosenheim, für das Modell New Work. "Vor über fünf Jahren haben wir uns konsequent auf den Weg gemacht, Zukunft der Arbeit zu gestalten. Das Experiment war das Beste, was uns passieren konnte, um zu zeigen, dass Veränderungen von innen heraus möglich sind." Die Ergebnisse sprechen für sich und machen New Work messbar: Die Führungskräfte der Pflegedirektion setzen zunehmend den Leitsatz "Vertrauen statt Kontrolle" um. Die Fluktuationsquote im Unternehmen ist gesunken. Veränderungsprozessen wird offener begegnet. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit hat sich verbessert und die Transparenz wurde erhöht. "Dabei haben wir bei Prozessproblemen auf das Tool Design-Thinking gesetzt und konnten in interdisziplinären Sprints viele Lösungen finden und Prototypen umsetzen. Agile Leadership und Design Thinking verankern sich zunehmend bei uns im Unternehmen über alle Hierarchien hinweg", machte Hantl-Merget richtig Lust auf New Work.

 

New Work ist im Gesundheitswesen angekommen und kann Good Work werden

In einer lebhaften Podiumsdiskussion und einem World-Café wurde deutlich: New Work ist im Gesundheitswesen angekommen. "Veränderung annehmen und gestalten – bei uns heißt das ‚möglich machen‘", brachte Holger Stürmann auf dem Podium ein. "Es ist möglich, ganz neu zu denken und eine Versorgungskatastrophe zu verhindern", appellierte Hantl-Merget an das Publikum. "Die Pflege ist ein hochprofessioneller Beruf. Demokratisiert euer Wissen." "Wissen teilen schafft auch eigene Freiräume", ergänzt Stürmann. "Es geht primär nicht um Happy Pflege, sondern um die Sicherung der Zukunft, um die Sicherung der Gesellschaft", betonte Leah Weigand auf dem Podium.

 

"New Work kann Good Work werden und bringt viele Impulse für gute Arbeit", zeigte Claudia Chodzinski, Dipl. Sozialpädagogin, Krankenschwester, Soziotherapeutin, Traumafachberaterin, freie Beraterin aus Hannover, in ihrem Vortrag "New Work und psychische Gesundheit – machbar oder Widerspruch?" und einem sich anschließenden World-Café. Sie machte deutlich: "Die Arbeitswelt lässt sich nur verbessern, im Sinne von Attraktivität und Fachkräftegewinnung, wenn es ein ehrliches, transparentes und aufrichtiges Bild von dem gibt, was Menschen erwartet und was sie tagtäglich leisten müssen. Alles andere ist eine unlautere Form der Fachkräftegewinnung und gibt ein verzerrtes und nicht realistisches Bild der Pflegetätigkeit wieder. Stattdessen sollte zum Ausdruck kommen, dass die Institution Krankenhaus, die Herausforderungen der Patientenversorgung gemeinsam und mit agilen Lösungen sowie Respekt für die Tätigkeit der Mitarbeitenden angeht. 

 

Und besonders der Respekt gegenüber den Mitarbeitenden steht für Claudia Chodzinski hier in besonderer Weise im Vordergrund. "Menschen, die in menschennahen Berufen tätig sind, kennen es leider, dass ihre Tätigkeit abgewertet, Belastungen bagatellisiert und als persönliche Schwäche definiert werden."

 

Pflege ist ein Beruf mit Traumjobpotential

Und die Zukunft braucht junge Menschen mit Träumen und Visionen, so wie die beiden Wahrendorff-Auszubildenden Max Brinkmann und Ogur Akkoc. In einem Duo-Gespräch brachten sie ihre "Visionen sinnstiftender Pflege" auf die Bühne und in die Herzen des Publikums. Denn in einem waren sich die beiden angehenden Pflegefachmänner einig: "Pflege ist ein Beruf mit Traumjobpotential!" Und dafür skizzierten sie die perfekte Station, auf der die Pflegeprofis selbstbewusst und stark in multiprofessionellen Teams arbeiten. Dafür braucht es unter anderem ein Gehalt, von dem alle gut leben können, Aufgabenteilungen nach individuellen Fähigkeiten, ein System hinter der Pflege mit mehr Zeit für Pflegeplanung, Vorbilder (pflegerisch und sozial), Auszeiten, eine Fehlerkultur und einen Arbeitsalltag, der dazu einlädt, sich weiterzubilden. 

 

"Diese Generation verändert und ich bin sehr stolz", dankte Cordula Schweiger, Organisatorin und Pflegedirektorin am Wahrendorff Klinikum für diesen berührenden Abschluss durch die beiden Auszubildenden. "Es freut mich nach all diesen Vorträgen riesig, wie sich die Pflege entwickelt." Das Symposium "New Work in der Pflege" wurde vom Wahrendorff Klinikum veranstaltet, um die Arbeitsbedingungen in der Pflege zu verbessern und Versorgung auch in der Zukunft zu sichern.