Vizepräsident des Europäischen Parlaments gibt Einblicke in Straßburger Politik
DEDENHAUSEN
Hohen Besuch konnte der stellvertretende Ortsbürgermeister Ulf-Hendrik Schrader am gestrigen Sonnabend, 11. Mai 2024, im Ortsteil Dedenhausen begrüßen. Jan-Christoph Oetjen (FDP), Vizepräsident des Europäischen Parlaments, nahm sich über zwei Stunden Zeit für einen Austausch mit den Bürgern im gut besuchten Veranstaltungsraum "Zum Bahnhof 40".
Unter dem Motto "Unser Niedersachse(n) in Europa" stellte Oetjen kurz vor, was in den vergangenen fünf Jahren passierte und in den kommenden fünf Jahren ansteht. "Was waren die zwei wichtigsten Themen bei der Europawahl 2019?" fragte er die Anwesenden. Während sich viele noch an "Migration" erinnerten, ergänzte Oetjen mit "Klimaneutralität".
Bei der Migration haben sich die Mitgliedsstaaten auf Grenzverfahren an den EU-Außengrenzen geeinigt, auf das Solidaritätsprinzip untereinander bei der Überbelastung von besonders betroffenen EU-Staaten und der humanitären Unterstützung bei der Flüchtlingsunterbringung innerhalb der EU in Ländern mit niedrigeren Standards. "Wir haben hier eine humanitäre Verantwortung: Wenn wir uns weniger um Menschen kümmern, die es nicht brauchen, verbleiben mehr Kapazitäten für Menschen, die unsere Hilfe nötig haben", so Oetjen.
Klimaneutralität hingegen werde durch Technologieoffenheit erreicht. "Ich habe nichts gegen E-Autos", so Oetjen, "doch als EU entscheiden wir auch über Nordfinnland, Portugal und Südspanien. Und wir alle wissen, was Kälte oder der Bedarf an Klimaanlagen mit einer Batterie macht." Daher unterstützt die liberale Fraktion weiterhin den Verbrennermotor in Verbindung mit der Entwicklung von klimaneutralem Kraftstoff wie dem Diesel HVO 100.
"Leider hat das Europäische Parlament kein Initiativerecht, kann also keine Gesetze selbst einbringen. Wir beraten über Gesetze, die von der Kommission vorgelegt werden. Gerade beim Überfall Russlands auf die Ukraine hat die Europäische Kommission unter von der Leyen daher zu spät reagiert, da sich die vorgelegten Gesetze weiterhin mit dem Green Deal, jedoch nicht mit der aktuellen Lage und Fragen wie der Verteidigung und Versorgungssicherheit befassten."
"Da hoffe ich, dass sich das mit der neuen Legislaturperiode ändert und das Thema 'Verteidigung' mehr in den Mittelpunkt rückt", so Oetjen. Daher freut er sich über Marie-Agnes Strack-Zimmermann als Spitzenkandidatin der FDP. Ziele seien unter anderem eine gemeinsame Beschaffung, mehr Unabhängigkeit von den USA, eine gemeinsame Einsatztruppe, mehr gemeinsame Trainings und Ausbildungen. Als zweites Thema für die kommenden fünf Jahre müsse die Wettbewerbsfähigkeit europäischer, aber insbesondere deutscher Unternehmen auf der Agenda stehen. "Wir Deutsche sind Weltmeister darin, Dinge kompliziert zu machen bei den europäischen Regelungen. Wenn eine Richtlinie einen Grenzwert von 100 Prozent vorschlägt, dann machen wir 120 Prozent daraus. Wir müssen da entspannter sein und nicht den Oberregulierer spielen." Sonst würden man damit Unternehmen, KMUs und gerade die Landwirtschaft zu sehr belasten. Dem konnte die anwesende Elisabeth Brunkhorst, Präsidentin des Niedersächsischen Landfrauenverbandes Hannover, nur zustimmen.
Jan-Christoph Oetjen wuchs selbst auf dem elterlichen Bauernhof in Niedersachsen auf. Sein Engagement für die Landwirtschaft ist ihm daher in die Wiege gelegt. Bei der Rückfrage von Anika Lilienthal, Ratsfrau der Stadt Burgdorf, wie auf europäischer Ebene das Thema Wolf betrachtet wird, zeigte er klare Kante: gerade sein Wahlkreis Rotenburg sei mit seinen neun Rudeln wöchentlich von Rissen betroffen, das Thema daher allgegenwärtig. "Wir können da den Weidetierhaltern doch nicht mehr erzählen, dass der Wolf sich ungehindert vermehren darf, weil er geschützt werden muss." Er setzt sich für eine Bestandsregulierung durch Einzelabschlussgenehmigungen ein. "In Frankreich ist das schon üblich, da werden so viele Genehmigungen erteilt, wie Zuwachs da ist." Daher hat er eine eindeutige Haltung pro vernünftigem Wolfsmanagement und unterstützt die Weidetierhalter bei ihren Herausforderungen.
Nach einer regen und interessanten Diskussion überreichten ihm die Ausrichter FDP Burgdorf-Uetze und FDP Lehrte einen Präsentkorb mit regionalen Produkten. "Den darfst Du gerne auf Deinem Platz im Europäischen Parlament sichtbar platzieren, um so die Wettbewerbsfähigkeit der hiesigen Betriebe zu stärken", so augenzwinkernd Anne-Kathrin Albert, Europabeauftragte der FDP Burgdorf-Uetze.
Zum Schluss gestand Oetjen, dass es eine Frage gibt, die ihm häufig gestellt wird und die ihn am meisten nervt: "Können wir Europa nicht abschaffen?" "Niemand fragt, ob man die Landes- oder Bundesregierung abschafft, aber bei einer Institution, die seit ihrer Errichtung nach dem Zweiten Weltkrieg den Frieden und den Wohlstand in Europa gesichert hat, da wird die Frage immer wieder gestellt", so Oetjen. Daher sein Appell: "geht wählen, damit es so bleibt".