Sehnde
Dienstag, 08.08.2023 - 10:41 Uhr

Städtische Mitarbeiter werden bei Verkehrskontrolle verbal und tätlich angegriffen

Aufn.:

SEHNDE

Am vergangenen Freitag, 4. August 2023, kam es zu einem tätlichen Angriff auf Mitarbeiter der Stadt Sehnde, die im Klein Bolzumer Weg den Verkehr kontrollierten. Es kam nach Angaben der Stadt Sehnde zu verbalen Attacken, einem Gerangel und einem tätlichen Angriff auf eine der beiden Stadtmitarbeiter. 

 

Sehndes Bürgermeister Olaf Kruse verurteilt das Verhalten und ruft zur mehr Miteinander auf. In einem Interview geht er auf die Verkehrssituation, die Hintergründe und das Verhalten auf den Straßen wie aber auch den Sozialen Medien ein:

 

Herr Kruse, im November 2019 haben Sie das letzte Interview zum Thema Verkehrsüberwachung gegeben (Opens external link in new windowwww.sehnde.de/buergermeister). Damals war das Aufreger-Thema, dass Sehnde überhaupt den Verkehr überwacht. In den vergangenen Jahren hat sich der Unmut der Bevölkerung gegen die Maßnahmen nicht verringert und nun kam es im Rahmen der Überwachung zu einem tätlichen Angriff mit Sachschaden, massiven Verbalattacken und Körperverletzung gegen Ihre Mitarbeitenden.   

Mal abgesehen vom materiellen Schaden ist die physische und psychische Beeinträchtigung bei den betroffenen Mitarbeitenden groß und die Folgen sind noch gar nicht absehbar. 

 

Herr Kruse, lassen Sie uns zunächst vielleicht kurz noch einmal die Gesamtsituation und die Grundlagen betrachten. Warum wird der Verkehr überwacht?   

Im Rahmen der gesetzlichen Regelungen überwachen auch wir als Stadtverwaltung den fließenden und ruhenden Verkehr und kommen somit einer Verpflichtung nach. Aufgrund Personalmangels haben wir viele Jahre den ruhenden Verkehr nur anlassbezogen überprüft und die Überwachung des fließenden Verkehrs der Region Hannover und der Polizei überlassen. Im November 2018, ein Jahr vor meiner Amtsübernahme, wurde mit Ratsbeschluss die regelmäßige Überwachung des fließenden und ruhenden Verkehrs mit entsprechender Personal- und Materialausstattung beschlossen. 

 

In der Folge wurden zwei Mitarbeitende eingestellt und die für die Ausübung der Tätigkeit notwendigen Ausstattungen und Geräte beschafft. Die Überwachung des ruhenden Verkehrs erfolgt in Personalunion mit den Börderegions-Kommunen Hohenhameln, Harsum und Algermissen. 

 

Wir erfüllen hier einen gesetzlichen Auftrag und überprüfen die Einhaltung der für alle geltenden Regeln. Um eines gleich vorweg zu nehmen: wir bereichern uns nicht und machen auch nicht Kasse (so die häufigsten Vorwürfe). Zu den Einnahmen berichten wir regelmäßig und transparent und tatsächlich sind Ausgaben und Einnahmen in Sehnde im besten Fall gleich hoch und damit kostendeckend. Die Verwarngelder sind eine Geldbuße für die, die sich nicht an geltendes Recht halten.

 

Was sagen Sie zur Gesamtsituation und zu den Diskussionen in den sozialen Medien?

Grundsätzlich geht es bei der Überwachung der Einhaltung von Regeln um eine verbesserte Sicherheit für alle Verkehrsbeteiligten. Die Sensibilisierung für die Möglichkeit einer jederzeit stattfindenden Kontrolle sorgt langfristig für eine Verhaltensänderung der Verkehrsteilnehmenden. Damit leisten die zuständigen Kolleg*innen durch ihre Tätigkeit einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Verkehrssicherheit in Sehnde und damit zum Schutz aller Bürgerinnen und Bürger.

 

Wie ärgerlich es ist, bei einem Fehlverhalten erwischt zu werden und eine Strafe zahlen zu müssen, kann jeder von uns nachvollziehen. Aber die Ursache ist und bleibt ein Verhalten, das gegen die geltenden Regeln verstößt. Ich vermisse in vielen Situationen seitens der Verursachenden eine Selbstreflektion und Einsicht. Leider wird eher eine wütende Haltung angenommen und den Ordnungspersonen ein Fehlverhalten vorgeworfen – das ist eine verdrehte Sicht und hat wenig mit Recht und Regeln zu tun. 

 

Alle hinter einem Lenkrad oder auf einem Motorrad sitzenden Verkehrsteilnehmenden haben irgendwann einmal eine Führerscheinprüfung abgelegt und sollten daher wissen was erlaubt ist und was nicht. Häufig wird bei den Schilderungen der Betroffenen auf den Einzelfall, die Situation im "Dorf" oder die doch ruhige Verkehrslage, hingewiesen. Das Parken auf dem Gehweg zum Beispiel soll im eigenen Wohnort kein Verstoß gegen die Regeln sein, weil es nur wenige Fußgänger*innen in dem Bereich gibt und diese auch auf die Straße ausweichen können. Auch das Parken gegen die Fahrtrichtung soll in einer ruhigen Nebenstraße kein Verkehrsverstoß sein. 

 

Wenn wir feststehende und klare Regeln nach Gefühl und individueller Auffassung auslegen wird es undurchsichtig und ungerecht. Auch um diese Unklarheiten auszuräumen und ein geregeltes Miteinander zu ermöglichen, wurden und werden Regeln geschaffen. Dabei muss nicht jedem einzelnen jede Regel gefallen, aber sie wurde auch zum Schutz für andere geschaffen und dienen als verbindliche Leitlinie.

 

Ich bleibe dabei, würden sich alle an die Regeln halten, bräuchten wir keine Überwachung.

 

Der nun erfolgte tätliche Übergriff auf und gegen die beiden zuständigen Kolleg*innen der Stadtverwaltung geschah am Freitag in Höhe der Mittellandkanalbrücke auf dem "Klein Bolzumer Weg", unter Sehnder*innen auch als "Ottermann Schnellweg" bekannt.

 

Dieser Weg ist als Durchfahrt für den öffentlichen Verkehr nicht zugelassen. Darauf weisen auch die Beschilderungen deutlich hin. Der Anlieger- und Landwirtschaftsweg, der sich übrigens im südlichen Abschnitt (vom "Pfingstanger" bis zur Kanalbrücke) nicht im Eigentum der Stadt Sehnde befindet, ist vielen Ortskundigen als schnelle Abkürzung bekannt und beliebt. Er wurde, um diese Nutzung zu verhindern, mit einer Schranke versehen. 

 

Aktuell steht diese Schranke offen, denn der Weg dient während der Sperrung des Bahnüberganges zwischen Bolzum und Sehnde als ausgewiesene Umleitungsstrecke für den öffentlichen Personennahverkehr. Für den sonstigen Verkehr ist eine Umleitungsstrecke über Gretenberg, Ummeln, Wätzum, Lühnde, eingerichtet.

 

Im Gegensatz zu einigen Äußerungen in den sog. "sozialen Medien" ist das eine Strecke von rund 8 Kilometern (gemessen jeweils vom Rathaus Sehnde bis zum Dorfladen Bolzum), die mehr gefahren werden muss.

   

Vielleicht fühlt sich jeder Kilometer, der mehr gefahren werden muss, auch besonders lang und umständlich an. Die fahrende Sehnder Bevölkerung leidet aktuell unter einigen Baumaßnahmen. Sicher zeigt das auch, wie gut wir sonst mit schnellen und gut befahrbaren Verkehrsverbindungen ausgestattet sind, aber warum konnten die Baumaßnahmen nicht besser koordiniert werden?  

 

Für die Maßnahmen gibt es unterschiedliche Verantwortlichkeiten. Die Region Hannover ist zum Beispiel zuständig für die Baumaßnahmen an der K 147, Müllingen, und die Deutsch Bahn ist zuständig für die Gleisarbeiten und die damit verbundene Sperrung des Bahnüberganges.

 

Selbstverständlich haben wir versucht, die zuständigen Stellen zu einer Koordinierung zu bewegen, aber bei großen Projekten mit vielen betroffenen Kommunen war es der Bahn nicht möglich, die Planungen für die Maßnahmen an unsere Bedarfe anzupassen – zumal die Sperrungen jeweils nur für kürzere Zeiträume angesetzt waren.

 

Ich bin persönlich von der Sperrung des Bahnüberganges betroffen und kann den Unmut verstehen, aber es sind für uns alle durchaus hinnehmbare Einschränkung für einen überschaubaren Zeitraum.

 

Beide angesprochenen Sperrungen sorgen für eine Zunahme der Nutzung von Wegen, die für den öffentlichen Verkehr nicht freigegeben sind. Ist es nötig diese unrechtmäßige Nutzung zu ahnden?

Wenn uns als Stadtverwaltung ein Rechtsverstoß auffällt, dann müssen wir tätig werden. Dennoch haben wir mit Blick auf diese besondere Verkehrssituation sehr wohl im Vorfeld entschieden, im Rahmen der Ausübung des Ermessens mit Augenmaß vorzugehen und zunächst von Kontrollen abzusehen.

 

Dieses Vorgehen geht aber nur so weit, wie es die Sicherheit und die Rechte anderer zulassen. Die verkehrswidrige Nutzung des "Klein Bolzumer Weges" nahm eine so hohe Frequenz an, dass wir innerhalb kürzester Zeit Beschwerden aus der Bevölkerung erhielten, die auf eine Gefährdung von Fußgänger*innen und Radfahrende durch rücksichtsloses Fahrverhalten von einzelnen Pkw-Fahrenden hinwiesen - und daher tätig werden mussten. Unser Ermessenspielraum war leider ausgereizt, als die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmenden gefährdet schien. Bei Untätigkeit laufen wir dann Gefahr, im Fall eines Schadens belangt zu werden.

 

Was genau ist am 4. August passiert?  

Die Kollegin und der Kollege waren an diesem Freitag im "Klein Bolzumer Weg" und haben den Verkehr kontrolliert. Vorab hatten wir uns die Situation vor Ort angeschaut und anhand der Frequentierung festgestellt, dass dringender Handlungsbedarf besteht.

 

Die Kontrolle erfolgte in Höhe der Brücke über den Mittellandkanal. Ein Kraftfahrer fühlte sich durch die Kontrolle so gereizt, dass er aus dem Auto stieg, die Kollegin und den Kollegen verbal attackierte und es zu einem Gerangel kam. Der PKW-Fahrer entriss der Kollegin trotz Sicherung am Handgelenk mit Gewalt die Kamera und warf diese in den Mittellandkanal.

 

Der Fahrzeugführer verließ mit seinem PKW nach dieser Attacke den Tatort. 

 

Der materielle Schaden steht hier weit nachrangig nach der physischen und psychischen Beeinträchtigung für die betroffene Kollegin und den betroffenen Kollegen. Beide begaben sich nach einer Aufnahme des Sachverhaltes durch die Polizei umgehend in eine notwendige ärztliche Behandlung. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes werde ich hier keine weiteren Angaben machen. 

 

Die Stadtverwaltung hat Strafantrag gestellt und die Polizei ermittelt.

 

Ich hoffe, dass es der Kollegin und dem Kollegen bald wieder besser geht und sie dieses extreme Ereignis verarbeiten können.

 

Gibt es ein Fazit für Sie?

Ja! Wir müssen gelassener werden, weniger wütend und tobend, einander zuhören. Gewalt jeglicher Art hat im Miteinander nichts zu suchen. Das gilt auch und insbesondere bei Attacken auf Amtsträger, Ehrenamtliche und Menschen, die ihre Pflicht erfüllen. Das ist nicht hinnehmbar und keinesfalls tolerierbar! 

 

In was für einer Gesellschaft leben wir, wenn es akzeptiert wird, dass das Fehlverhalten einer Person nicht in Einsicht endet, sondern in Gewalt gegenüber den ahndenden Personen. Mir bereitet dies Sorge.

 

In den Kommentaren einer Facebook Gruppe schrieb jemand: "was ist bloß aus Sehnde geworden?" Diese Äußerung richtete sich gegen unsere ordnungsrechtlichen Maßnahmen, aber ich sage hierzu: "was ist bloß aus Sehnde geworden, wenn wir uns eher anfeinden als diskutieren, lieber öffentlich diskreditieren als hinterfragen, Gewalt als Mittel gegen geltende Regeln tolerieren."